Tag 124 unserer Europareise
Langsam wurde es uns zu heiß in Marrakech. Wir hatten gerade März und die Temperaturen stiegen und stiegen unaufhaltsam in Richtung der 40 Grad Marke. Es wurde Zeit zu flüchten und in die Berge zu fahren. Wir begaben uns auf die gut ausgebaute N9 nach Osten. Die schneebedeckten Gipfel des Hohen Atlas schimmerten allmählich aus dem Dunst der Ebene hervor und stetig, Meter um Meter, begann unser Dexter den mühsamen Aufstieg. Aus der Ebene Marrakechs, mit ungefähr 700 Höhenmeter, mussten wir nun hinauf zum Tizi n’Tichka Pass auf 2260 Meter. Die N9 ist recht gut ausgebaut, allerdings fanden bei unserer Fahrt immer noch Bauarbeiten statt. So galt es teils kilometerlange, staubige Schotterpisten im Schritttempo zu bewältigen. Alles sehr mühsam und entgegen unserer Annahme, dass unser Dexter der langsamste LKW ever wäre, durfte er sogar das eine oder andere Mal ein Überholmanöver mit 20 km/h starten. Die marokkanischen Lastwagen waren langsam, sehr langsam und meist schwer beladen.
Mit jedem Höhenmeter wurde nun der Himmel blauer und die Luft frischer und angenehmer. Je weiter wir uns dem Pass näherten, desto mehr Straßenverkäufer boten direkt am Straßenrand ihre Mineralien an. Man sollte sich aber nicht über den Tisch ziehen lassen. Die gezeigten Exemplare mögen zwar von der Substanz echt sein, doch für die Färbungen in tiefdunklem Violett, leuchtendem Rot, oder reinstem Weiß wird oft mit Chemikalien nachgeholfen und wirken daher extrem unnatürlich. Uns wurde berichtet, dass für die Färbung gerne die Chemikalien zu Teppichfärbung verwendet werden. Wir hatten also keine Lust auf künstliche Steine und winkten dankend ab.
Nach langer Quälerei bergauf überquerten wir schließlich den Tizi n’Tichka, einen der höchsten und bekanntesten Pässe Marokkos. Jetzt änderte sich wieder die Landschaft. War die Westseite des Hohen Atlas beinahe frühlingshaft und grün bewachsen, erwartete uns auf der anderen Seite, Richtung Osten des Landes, eine faszinierende Steinwüste in den verschiedensten Farbtönen von sandfarben, über dunkelrot bis schwarz. Wir konnten uns kaum sattsehen und hatten das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein. Am Nachmittag erreichten wir Telouet mit seiner Kasbah, unsere Zwischenetappe für diesen Tag.
Die Kasbah von Telouet liegt auf rund 1800 Metern Höhe an der ehemaligen Route der Karawanen von der Sahara über das Atlasgebirge nach Marrakech. Kasbahs sind marokkanische Festungen und die von Telouet war Jahrzehnte lang der Machtsitz des Glaoui-Clans in dem Thami El Glaoui, das Oberhaupt der Glaoua-Berber, residierte. Der Berber-Stamm der Glaoua war einer der einflussreichsten Clans in Südmarokko. El Glaoui selbst war von 1918 bis 1955 Pascha von Marrakesch. Ein Pascha war seit dem osmanischen Reich im 15. Jahrhundert der Titel der höchsten Zivilbeamten und Militärs. Er unterstützte mit seiner profranzösischen Politik von dem kleinen Telouet aus das damalige Protektorat Frankreichs über Marokko. Dafür überließen ihm die Franzosen die fast unabhängige Herrschaft über weite Teile Süd- und Südostmarokkos. So beherrschte er schließlich etwa 1/8 Marokkos. Während dieser Zeit ließ er mehrere Kasbahs errichten bzw. ausbauen, darunter auch die von Telouet, deren Bau aber bereits vor seiner Zeit um 1860 begann.
Bildergalerie Kasbah von Telouet
Der Durchzug der Handelskarawanen, die die Wüste mit den großen Städten auf der anderen Seite des Atlas verbanden, und die Nähe zu den Salzminen, verhalfen den Paschas und der Kasbah von Telout zu ihrer damaligen herausragenden Bedeutung. Die Kasbah wurde mit den Jahrzehnten immer weiter ausgebaut. Zum Höhepunkt der Clan-Macht in den 1950er Jahren lebten bis zu 1000 Menschen in der Kasbah. Von den insgesamt drei Komplexen der Kasbah ist heute der noch am besten erhaltene für Besichtigungen freigegeben. Die Wände sind verkleidet mit wunderschönen blau-weißen Kacheln, den sogenannten Zellijes, im Stile der Mauren und geschnitztem Stuck. Die Decken aus geschnitztem Zedernholz haben farbenfrohen Motive und es wurden dem lokalen Amazigh-Stil der Berber auch Elemente des klassischen andalusisch-marokkanischen Stils hinzugefügt.
Vor dem Hintergrund der interessanten Geschichte dieser Kasbah machten wir einen kleinen Rundgang und ließen uns von einem Guide durch die Kasbah führen. Die Tour dauerte nicht lange, gerade mal eine halbe Stunde, bot aber einen schönen Einblick mit vielen Hintergrundinfos. Der Eintritt betrug 20 Dirham welcher in den Erhalt der Kasbah fließt. Der nette Guide freut sich natürlich auch noch gerne über ein Trinkgeld für seine Arbeit.
Teppichkauf für Fortgeschrittene
So waren wir mit unserer Besichtigung fertig und im Begriff weiterzufahren, doch uns wurde noch der Besuch des kleinen Shops der lokalen Kooperative empfohlen. Eigentlich waren wir bereits zu müde und wollten noch die restlichen Tageskilometer abspulen, konnten dann aber doch nicht nein sagen und schauten kurz vorbei. Die Gegend ist bekannt für Ihre wunderschönen, handgewebten Teppiche mit Berbermustern, die entweder aus Schafswolle hergestellt werden, oder ganz speziell aus den Fasern von Kakteen. Wir schauten uns um und fanden einen Teppich schöner, als den anderen. Vorsichtig fragten wir nach dem Preis und waren plötzlich erstaunt, als uns für einen großen Teppich ein Preis von 300 Dirham genannt wurde. Wir stutzten und fragten noch weitere Male nach dem Preis um sicherzugehen, dass hier kein Missverständnis vorliegt. Wieder nannte uns der Verkäufer, sein Name war Lahcen, den Preis von 300 Dirham (27€). Wir schauten uns um und auch ein zweiter Teppich wurde uns zu einem ähnlich guten Preis von 500 Dirham (45€) angeboten. Wohlgemerkt, wir wussten, dass es sich hier um handgewebte Teppiche handelte und waren auch weiterhin erstaunt über den Preis, aber wie gesagt, wir fragten mehrmals nach. Unsere Teppiche wurden sorgfältig verpackt und uns wurde noch der obligatorische Zuckerschock in Form eines marokkanischen Minztees serviert. Es ging sehr familiär zu. Lahcens Mutter, im stolzen Alter von 100 Jahren, schaute kurz vorbei und auch sein Sohn war inzwischen anwesend. Da es nun doch recht spät geworden war, wurde uns angeboten vor dem Shop in unserem Camper zu übernachten und wir wurden kurzerhand zum Abendessen mit der ganzen Familie eingeladen. Wir freuten uns sehr über das Angebot, überlegten nicht lange und stimmten zu.
Nun wollten wir zahlen und reichten Lahcen ganz selbstverständlich die Summe von 700 Dirham. Es folgte ein kurzer Moment des Stutzens und wir schauten uns gegenseitig ein wenig ungläubig und verwirrt an. Sollte hier doch ein großes Missverständnis vorgelegen haben? Ja, dem war tatsächlich so. Wir konnten uns mit Lahcen die ganze Zeit zwar mehr oder weniger auf Französisch unterhalten, aber schnell wurde klar, dass er uns wohl immer Euro-Preise genannt hatte, anstatt wie für uns bisher immer üblich, die Dirham-Preise. So kippte die bisher lockere Stimmung und alle Beteiligten waren tief betrübt. Wir selbst, wie auch Lahcen und sein Sohn. Wir versuchten nun alle gemeinsam irgendwie aus dieser misslichen Situation zu kommen. Lahcen bot uns einen Nachlass auf die Teppiche an, aber trotz allem konnten wir die Teppiche nicht für den Preis kaufen. Schließlich entschieden wir uns für nur für einen Teppich, der eine ganze Nummer kleiner war, und letztendlich waren alle nun doch irgendwie happy.
Fastenbrechen bei Lahcen und seiner Familie
Die Einladung zum Abendessen blieb natürlich bestehen. Unsere Hunde mussten nun aber dringend auf ihre abendliche Runde. Wir fragten, wo wir denn hier eine kleine Runde spazieren gehen könnten. Lahcen signalisierte, dass sei kein Problem. Er würde einfach mitkommen und uns den Weg zeigen. Wir vermuteten, er würde einfach mit uns um die Ecke gehen und uns dann die Richtung zeigen. Wir bereiteten unsere Hunde vor und dann stand er da mit seinen beiden Enkeln im Grundschulalter. Sie schnappten sich jeweils einen Hund und wir gingen los. Aber nicht nur um die nächste Ecke. Sie nahmen sich alle Zeit der Welt und wir machten ganz selbstverständlich alle zusammen einen ausgedehnten Spaziergang aus dem Dorf hinaus. Das zeigte uns wieder das ambivalente Verhältnis der Marokkaner zu Hunden generell. In größeren Städten sieht man immer mal wieder junge Marokkanerinnen oder Marokkaner, die Hunde an der Leine zum Spaziergang führen, doch das bleibt eher die Ausnahme. Hunde im Allgemeinen gelten im Islam als unrein, werden aber oft geduldet und fristen ihr Leben am Rande der Gesellschaft. Viele haben Respekt, oder gar Angst und nicht selten werden Steine nach ihnen geworfen. Aber nach unseren Erfahrungen bisher, werden auch viele Straßenhunde von den Einheimischen gefüttert. So waren wir doch erstaunt, dass sich Lahcen die Zeit genommen hatte um mit uns und den Hunden den kleinen Spaziergang zu machen.
Das Abendessen mit Lahcen und seiner gesamten Familie zum allabendlichen Fastenbrechen im Ramadan war dann ein sehr besonderes und schönes Erlebnis. Es wurde jede Menge aufgetischt, zu unserem Glück sogar alles vegetarisch. Wir lernten das erste Mal die Kultur der Marokkaner kennen, insbesondere der Berber. Letzten Endes machte sich Lahcens Tochter sogar noch die Mühe und Marion bekam ein Henna-Tattoo von ihr. Am nächsten Morgen wurden wir noch einmal zum kleinen Frühstück bei Tee, Brot, Oliven und dem leckersten Olivenöl eingeladen. Wir wollten vor Ort von dem Olivenöl kaufen und ein paar Besorgungen machen, aber anstatt uns mühsam zu erklären, wo Lahcen sein Öl kauft, fuhr er kurzerhand mit uns ins Dorf und zeigte uns alles. Wir waren einfach überwältigt von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Berber. Nun ging es endlich weiter auf unserer Reise Richtung Aït-Ben-Haddou. Dazu mehr in unserem nächsten Beitrag.
Unsere Fahrstrecke in diesem Beitrag
Mit Bildern und Standorten (reinzoomen und Punkte klicken, roter Punkt = Bilder, grüner Punkt = Übernachtungen).
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